Minimal de-kodieren wirkt :-) 29.01.10

Liebe Frau Birkenbihl, dies ist ein Beitrag für alle, die "aus Zeitgründen" nicht mit der Birkenbihl-Methode fürs Sprachenlernen arbeiten - denn "wann sollte man denn jede Lektion de-kodieren, und dann noch rechtzeitig"...?
Angenommen da ist dieser Russisch-Unterrichtskurs. Stellen Sie sich vor, Sie würden ihn gerade belegen, an einer Schule oder Bildungseinrichtung. Alternativ nehmen Sie Ihr Kind, das in diesem Sprachkurs sitzen könnte!
- Der Kurs ist etwas höher im Lernberg als Sie, alles kommt Ihnen zu schnell vor, so vieles wird vorausgesetzt, was Sie aber noch nicht auf Anhieb verstehen.
- Die anderen können teilweise gut mitarbeiten, aber Sie sind erstens plötzlich schüchtern und zweitens viel langsamer.- Es gibt kaum Feedbackmöglichkeiten, die ganze Arbeit bleibt an Ihnen zu Hause hängen.
- Es gibt auch keine systematischen Lektionen, sondern nur ab und zu schnell abgehandelte Kopien mit klein gedrucktem Text.
Was nun? Lernen Sie Vokabeln und Grammatik? Wo fangen Sie an, es wirkt alles so nicht zu bewältigen! Werden Sie überhaupt bestehen? Am Ende mehr ausdrücken können als am Anfang?
Nun zu mir; denn so war es bei mir. Ich kannte die Birkenbihl- Methode, habe mit ihr auch bei Russisch schon gearbeitet, aber Zeit hatte ich auch nicht viel. Wo beginnen? Was tun? Würde ich bestehen? Am Ende mehr ausdrücken können?
Vorweg: Mein Kurs gilt als bestanden. Mein Abschlusstext hat die Erwartungen meiner Lehrerin übertroffen (auch wenn er viele Fehler hatte), so dass sie mich hat durchkommen lassen. Für meinen Kenntnisstand - völlig zufriedenstellend.
Und wie?
- Nein, ich habe keine Vokabeln gepaukt, nie. Ab und zu schrieb ich Wörter und Ausdrücke auf, wenn ich sie aus dem Erzählwust herausfiltern konnte. Aber gelesen habe ich die Notizen nicht noch einmal.
- Grammatik gelernt? Ich habe es einmal versucht. Klar habe ich etwas verstanden, aber die Übungen, die ich dazu machen wollte, waren nicht WESENtlich genug, waren langweilig, auf jeden Fall war daran etwas nicht gehirn-gerecht. Was mir durch Frau Birkenbihls Erzählungen natürlich schon naheliegend vorkam.
=========== für alle, die es noch nicht gesehen haben: auf birkenbihl.com, mittlere spalte: HIRNE ANKNIPSEN, da habe ich im Juni 2008 an der uni augsbrug erklärt, warum klassisches sprachenlernen nicht funktionieren kann! schreibzeug und ca. 2 std. zeit mitbringen, gern via beamer an die wand und mit freunden gucken. es ist eine 11-euro DVD, aber für alle, die lieber kostenlos gucken, auch dort!


- mit Feedback lernen? Immerhin EIN Volltreffer. Als eine muttersprachliche Freundin einen meiner Texte korrigiert hatte, nahm ich ihn mir her und ging die RICHTIGE Fassung Stück für Stück durch. Etwa 50 Änderungen hatte sie beim Durchsehen angebracht, mal ein grammatischer Fehler, mal ein anderes Wort, mal ein anderer Ausdruck, mal eine kleine Umstellung der Satzreihenfolge. Ich konnte einfach gucken: "Ahaaa, so verwendet man dieses Wort! Ahaa, das habe ich gerade verwechselt! Ach ja, soo hat man das gemacht, ich weiß wieder!
Nanu, und was ist das für ein Wort? Kenne ich noch nicht." - Aber meinen Wortschatz erweitern, ohne eine einzige Vokabel zu lernen? Dann wohl doch de-kodieren.
Wenig Zeit? Dann eben WENIG de-kodieren.
Es war Anna Karenina von Tolstoi. Das Kernstück waren sechs Seiten handschriftliche De-Kodierung. Im Buch, original und klein gedruckt, sind das anderthalb Seiten A5, nicht mehr.
Ich kann sagen: Dieses wenige De-Kodieren und einige Male vom Hörbuch anhören hat mir so viel gebracht!!
1. Es macht Spaß.
2. Ich kann viel schwierigere Sätze konstruieren, weil ich mich an diese Beispiele halten kann.
3. Es gibt Wörter, wie... "Eindruck", "hervorragend", "plötzlich", "Wunsch", also viele solche Wörter, von denen möglicherweise ein Bruchteil altmodisch ist, die mir dort in einem Kontext von Tochter-Verheiratung und Verkupplung untergekommen sind, die aber plötzlich in jeder einzelnen Unterrichtsstunde und in jedem Text vorkommen, den ich lese!
Nun, durch das De-Kodieren, verstehe ich sie plötzlich. Das wiederum löst kleine Lawinen-Effekte aus: Ich verstehe den Satz, in dem sie im Unterricht vorkommen. Ich verstehe also weitere Wörter, kann die Satzkonstruktion beim Hören nachvollziehen, die mich wiederum an einen der nächsten Sätze im Text erinnert und einen kleinen Aha-Effekt auslöst. Ich verstehe natürlich auch, in welchen Zusammenhängen "mein" Wort gebraucht wird und welche der Ausdrücke vielleicht nirgendwo mehr auftauchen.Wenn ich formuliere, fällt mir "mein" Wort ein, das ich gerade nicht verwenden will, aber es zieht einen ganzenZusammenhang mit hoch, aus einem Text, schon bin ich mitten in russischen Ausdrücken und ziehe den richtigen direkt danach aus meinem Kopf. Es entsteht ein Text, mit vielen Fehlern, aber es wird klar, was ich meine - ich bestehe.
4. Jetzt mache ich weiter, obwohl oder gerade weil der Kurs vorbei ist. Ich bin mitten in der Handlung, kann immer wieder genüsslich ein Stück aus dem Geschenkpapier wickeln, das der Text für mich ist, denn es auf Deutsch zu lesen, ist anders als es vom russischen Sprecher zu hören und alles in der De- Kodierung mitlesen zu können.Probieren Sie es.
Probieren Sie es mit ganz wenig Aufwand aus, machen Sie es liebevoll, probieren Sie es handschriftlich, nehmen Sie Ihre Lieblingsstifte, nehmen Sie nur diese wenigen Sätze aus einem guten Text. Sie müssen nicht ständig de- kodieren, nur heute, nur diese Zeilen.
Sie können staunen, wie viel dieses Wenige, das Sie tun, Ihnen bringt und wie viel Spaß es auch macht.
Mit staunenden und fröhlichen und dankbaren Grüßen
=========== wunderbar. danke. ich kann dem nur noch hinzufügen, daß EINE möglichkeit für KURZE TEXTE ja immer schon LIEDER waren. wenn ich z.b. die nationalhymne eines volkes de-kodiere (oder mir beim de-kodieren helfen lasse) und diese dann erst pseudodeutsch, dann zielsprachig singe, dann lerne ich auch sehr viel, ohne auch nur eine voklabel gepaukt zu haben. die LIEDER-TECHNIK setzt sich inwischen immer weiter durch, wir werden bald einen video-clip dazu haben, wie ein hochschul-lehrer das an der musikhochschule in HH macht!also, vielen dank für das mutmachen, mit sehr konkreten anweisungen, wie man vorgehen kann. danke!
vfb

(Name der Redaktion bekannt)