"Lernen lernen" im Kindergarten 8.2.08

Mein Beitrag betrifft das "Lernen lernen" im Kindergarten und greift m.E. auch minimal in den Bereich des Homeschoolings.
Wir haben einen 4-jährigen Sohn, der sehr wissbegierig (man könnte auch "neu-gierig" sagen, doch so wurde ich früher bezeichnet und ich empfand diese Bezeichnung immer als negativ) ist und vieles aus seiner Umwelt aufnimmt. In dieser Eigenschaft wird er von uns unterstützt, indem wir ihn viele Erfahrungen machen lassen, ihm viel vorlesen und auch Dinge erklären, nach denen er fragt.
Nun bin ich im Kindergarten bereits mehrfach angesprochen worden, weil er von Dingen erzählt, die andere Kinder nicht kennen und die sie ängstigen. Ganz am Anfang seiner Kindergarten-Zeit wurde ich zur Seite genommen, da er über eine Moorleiche erzählte, die er am Steinhuder mehr in einer Art Museum gesehen hatte.
Gestern wurde ich wieder zum Gespräch gebeten. Mein Sohn hat wohl beim Frühstück von Kanibalen erzählt. Auf die Frage, ob er wisse was das sei, hat er zum Schrecken der Erzieher sein Wissen mitgeteilt und damit die anderen Kinder erschreckt und geängstigt. Die haben dann gefragt, ob es Kanibalen wirklich gebe und die Erzieher damit in Erklärungsnot gebracht. Nun wollte der Kindergarten von mir wissen, warum mein Sohn etwas über Kanibalen weiß. Ich erklärte darauf hin, dass wir ihm ein Klapp-Bilderbuch von Robinson Cruso vorgelesen hätten. Dort wird mit ähnlichem Wortlaut von Ronbinson berichtet, der eine Gruppe von Eingeborenen sieht, welche Gefangene mit sich führen. Robinson befürchtet, gleich "Zeuge eines schrecklichen Kanibalenmales zu werden" und rettet daraufhin alle (oder nur Freitag, das weiß ich jetzt nicht so genau). Dies ist also die Quelle der Kenntnisse meines Sohnesüber Kanibalen. Mir wurde nun nahegelegt, beim Vorlesen Worte oder ganze Textstellen wegzulassen, da es Dinge gäbe, die 4-jährige noch nicht wissen müssten.
Ich mache mir natürlich nun Gedanken, ob wir unseren Sohn zu viel erklären und ob er in Zukunft noch oft anecken wird, weil er Dinge weiß und ausspricht, die andere Kinder nicht kennen und wissen (dürfen).
======= normalerweise würde ich eher Ihre haltung teilen, aber wenn das kind mit einer MOORLEICHE und mit KANNIBALEN auffällt, dann ist es wirklich schwer, anderen eltern klarzumachen, wie kinder, die über diese dinge nicht in einem sinnvollen SINNVERBAND gehört hatten, damit umgehen sollen, insbes. in einem alter, in dem sie zu äußerst lebendigen TRÄUMEN und ängsten neigen. wenn ihr sohn etwas über vieles weiß, ist das sicher kein problem aber Ihre beiden beispiele lassen mich eher mit den kindergärtnerinnen und den anderen eltern fühlen...

Ich kann mir vorstellen, dass Gespräche der geschilderten Art für ihn unangenehm sind, weil er ja in den Augen der Erzieher den "Fehler" macht, über gewisse Tabu-Themen zu sprechen. Nun befürchte ich ,dass es sich irgendwann gar nicht mehr traut, etwas zu sagen, weil es ja wieder Aufruhr verursachen könnte.
===== die gefahr besteht durchaus, wenn er regelmäßig tabu-themen anspricht. in unserer gesellschaft gehört nun mal der tod zu einem der größten tabus. sollte Ihnen das unbekannt sein?
****natürlich ist mir das bekannt: " Ach, ihr sei Standesbeamte, das ist ja toll. Immer gut gelaunte Leute um sich......Was? Ihr beurkundet Sterbefälle. Ach so." Damit ist das Thema, "was machst du denn so beruflich" meist beendet.
====== und muß gerade ein vierjähriger versuchen, das tabu zu brechen?
****nein. Das war von uns nicht beabsichtigt.

==== Sie wissen, wie die gesellschaft mit leuten umgeht, die uns zwingen, über dinge nachzudenken, über die man nicht nachdenken will. aber einen vierjährigen in die situation zu bringen... meine eltern haben mich immer darauf aufmerksam gemacht, wenn wir zuhause tabu-themen besprachen, daß ich das einkalkulieren konnte, aber auch erst als ich ca. sieben jahre alt war. dafür dürfte vier zu früh sein, schätze ich...

Andererseits möchte ich ihn aber auch nicht "künstlich dumm halten", indem ich ihm Fragen nicht beantworte und Textstellen beim Vorlesen weg lasse.
======= naja, das thema TOD muß ja nicht gerade mehrfach so deutlich „drankommen“ bei einem so jungen kind, oder??
**** Es gibt doch sogar Bilderbücher, die sich mit dem Thema beschäftigen. Ich möchte hier aber gar keine Grundsatzdiskussion anstoßen, wie mit dem Thema in der Gesellschaft umgegangen werden soll.
====== das ist auch nicht der ort dafür. es geht nicht darum, ob kinder mit dem thema konfrontiert werden (ich bin dafür) sondern ob sie gemobbt und ausgegrenzt werden, wenn ihre umgebung damit nicht umgehen kann. am ende leidet IHR KIND, das ist die gefahr.

Allerdings möchte ich jetzt doch noch dazu sagen, dass beide Elternteile beruflich mit dem Thema Tod zu Tun haben/hatten (wie oben schon angedeutet, beurkundeten wir eine zeitlang beide, jetzt nur noch mein Mann, Sterbefälle) und wir uns natürlich zu Hause auch über die Erlebnisse des Tages austauschen. Wir haben also über das Thema Tod schon gesprochen, als unser Sohn noch ein Baby war. Dementsprechend gehören die Worte "Tod" und "Sterben" bei ihm zum normalen Wortschatz. Er ist damit aufgewachsen. Dass das Thema in der Gesellschaft das Tabu-Thema Nr. 1 ist, ist mir natürlich bewusst. Aber kann bzw. sollte man einem 4-jährigen erklären, dass er über bestimmte Dinge besser nicht spricht? Inzwischen würde ich die Frage vielleicht sogar bejahen. Er hat übrigens selber schon mit knapp 3 Jahren seinen Opa verloren und dessen Sterben mitbekommen. Zur Seebestattung hatten wir ihn aber nicht mitgenommen, weil wir ihm diese Art der Bestattung nicht erklären wollten. Sie sehen also, auch bei uns gibt es Grenzen. Ich hab dann in der Zeit mit ihm den Tierpark in Cuxhaven (von wo das Boot losfuhr) besucht.

======= wenn ein vierjähriger etwas über farben, pflanzen, länder (es gibt tausende von themen) weiß, was andere nicht wissen, könnte er „anecken“, weil leute (auch kinder) leute nicht mögen, die zuviel wissen, so daß solche kinder/menschen sich am wohlsten fühlen, wenn sie mit ähnlich interessierten kindern/leuten zusammen sein können. ich weiß, es ist traurig, aber die meisten eltern bieten ihren kindern nicht sehr viel... hier hängt viel von den kindergärtnerinnen ab, ob sie solche gedanken AUFGREIFEN und vertiefen können, was bei vielen themen sicher möglich ist. nur bei tod etc. da müssen die helferInnen nicht unbedingt vertiefen (wollen), da wären sicher viele eltern vor. und man kann den kindergärtnerInnen nicht zumuten, auch noch die eltern erziehen zu müssen, oder?*
******* Da haben Sie sicher recht. Danke für Ihre Einschätzung.


vfb

RM

 

 

siehe auch: Erziehung im Alter von 3 - 6 Jahren 9.10.03