Positive Schulerfahrungen in Norwegen 5.10.07

Liebe Frau Birkenbihl,
====== sorry, wegen seminarreisen mußten sie leider warten...

ich habe mit 15 bzw. 16 ein Schulhalbjahr in Norwegen verbracht und mich an der dortigen Schule ausgesprochen wohl gefühlt.
Als ich nun "Trotzdem LEHREN" noch einmal las (und die DVDs vom Lernfront-Update noch einmal sah), stellte ich fest, wieso:
1. Schüler sollten erst ab ca. 14 Jahren Prüfungssituationenausgesetzt sein.
---> In Norwegen gibt es die ersten sieben Schuljahre ("barneskole", d.h. "Kinderschule") keine Noten, also mit dreizehn Jahren in der achten Klasse ungefähr das erste Mal.
Von der achten bis zehnten Klasse werden weiterhin alle gemeinsam unterrichtet, jetzt mit Noten, in der "ungdomsskole", d.h. Jugendschule. Am Ende der 10. werden Examen abgelegt, bis dahin jedes Halbjahr eine Art Zwischenprüfung in den drei wichtigsten Fächern. Erst danach spezialisieren und orientieren sich die Jugendlichen für weiterführende Schulen nach ihrem Berufswunsch und ihren Interessen.
======= optimal. besser geht es nicht.

2. Aussonderung von Kindern ist in Deutschland zu extrem.
---> Durch den gemeinsamen Unterricht aller in den ersten zehn Schuljahren sind die Unterschiede innerhalb der Klassen natürlich oft größer, aber es bildet sich auch ein gutes Miteinander. Sonderschulen gibt es nicht, was auch von vielen dort befürwortet wird. EIN Problem stellt sich allerdings: die wirklich hochgradig behinderten (körperlich und geistig) haben keinen Ort, wo Unterricht speziell auf sie zugeschnitten werden kann.
==== in finnland werden sie schon teilweise separat unterrichtet, aber an derselben schule, nicht in einem anderen gebäude, somit können sie in pausen und manchen fächern (z.b. musik) mit den anderen zusammensein...

3. Für Bildung muss genug Geld ausgegeben werden, so dass genug Lehrer und Ressourchen vorhanden sind.
----> war in meiner Schule in Norwegen definitiv der Fall. Zwei Lehrer zugleich pro Klasse; mal war einer nur mit da, um zu helfen, mal gab es zwei getrennte Kurse, wobei man denSchülern mit Schwierigkeiten durch eine kleinere Gruppe und etwas kleinere Anforderungen das Lernen erleichtern konnte. Außerdem war MEINE Schule hochmodern ausgestattet mit Laptops, kabellosem Internet, Fernsehern, Beamern, Kunst- und Schreibmaterialien... Auch wenn meine Schule da wohl eine der glücklichsten war in der Hinsicht, so wird in Norwegen (das Land ist natürlich auch sehr reich) einiges an Geld für Bildung ausgegeben.

====== das ist ein glücksfall!

4. Hausaufgaben und klare Anweisungen
----> Hausaufgaben spielen wirklich eine große Rolle, haben einige Zeit für mich in Anspruch genommen. Sie werden zu Beginn der Woche in einem Plan für die ganze Woche ausgegeben und sollen auch erledigt werden. Wochenende gibt es nichts auf. Manchmal konnten wir einen unserer beiden Klassenlehrer sogar überreden, am Ende des Schultages schon mit den Hausaufgaben beginnen zu dürfen, das hat mir gefallen.

5. Prüfungen mit der Chance zu zeigen, was man kann
-----> Arbeiten wurden bei mir generell vorher angesagt, auch mit dem, was drankommt, so dass man sich, wenn man wollte, vorbereiten konnte. Am Ende der 10. gab es für jeden zwei Prüfungen: eine schriftliche und eine mündliche. Das Fach wurde kurzfristig vom Land festgelegt, sodass man alles können, aber sich nur in je einem Fach beweisen musste. Die Lehrer hatten im Allgemeinen eine positive Grundhaltung den Schülern gegenüber, besonders meine Klassenlehrerin machte allen Mut. Für zu schreibende Texte war immer genügend Zeit, um vorzuformulieren und dann an seinem Text zu arbeiten.Wer noch nicht so lange im Lande war und logischerweise nicht perfekt Norwegisch konnte, wurde sprachenmäßig anders bewertet; so dass ich trotz einiger Fehlern (logischerweise) inder Halbjahresprüfung in Norwegisch eine super Note schreiben konnte.
======= ausgezeichnet!

6. Hilfsmittelbenutzung wie im echten Leben und Schüler-Coaching
-----> a) in Mathe durften wir immer ein "Book of Rules" benutzen; ein selbst angefertigtes Heft mit wichtigen Formeln, Vorgehensweisen, Beispielen etc. Hauptsache selbst geschriebenund nicht gedruckt.
==== großartig!

In Englisch das Gleiche mit Grammatikregeln.

b) für eine Arbeit in Geschichte haben wir die Fragen vorher bekommen und konnten zu Hause schon Antworten suchen und zusammenstellen. Man musste sich zu vier Fragen zusammenhängend äußern. Wir durften zu dem, was wir schreiben wollten, eine Seite Notizen machen (Stichpunkte) und mithilfe dieser durften wir dann die Arbeit schreiben. In meinem Fall war das wirklich nur ein Leitfaden, was ich in welcher Reihenfolge sagen will, und ich fand das eine schöne Form der Kontrolle, ob wir etwas gelernt haben.

c) für die Englisch-Halbjahres-Zwischenprüfung haben wir ein Heft mit Texten drei Tage vorher bekommen. Wir sollten dann die Texte lesen und durften ein Blatt (beide Seiten) mitnachgeschlagenen oder wichtigen Wörtern und Phrasen vollschreiben, das wir wiederum mitnehmen konnten. Außerdem waren die Texte interessant und für mich jedenfalls RELEVANT.

d) für die Norwegisch-Zwischenprüfung durften wir fast ganz frei einen Text schreiben, hauptsache ein Sachtext. Während der Prüfung sollte zuerst jeder für sich schreiben, dann jedoch durften wir in vorher festgelegten Gruppen in Räume gehen und dort über das, was wir schrieben sprechen, gegenseitig Feedback und Verbesserungsvorschläge geben; dann konnten wir unseren Text überarbeiten und haben ein ordentliches Produkt abgeben können! Und das in einer Zwischenprüfung! Durch die völlig unterschiedliche Textwahl bestand auch keine Gefahr des Abschreibens...
======== klingt alles wunderbar!

7. Fachübergreifend unterrichten, um das Lernen isolierter Fakten zu vermeiden
----> Es gab fachübergreifende Projekte (z.B. über den Holocaust Anfang der 10., eine Mappe, die in Norwegisch, Geschichte und Kunst bewertet werden konnte), außerdem sinddie FÄCHER schon fachübergreifend: statt Biologie, Chemie und Physik gibt es ein "Naturfach"; statt Erdkunde, Sozialkunde und Geschichte ein "Gesellschaftsfach"; in Religion wurde nicht nur das Christentum, sondern alle möglichen Religionen und auch philosophische Bereiche behandelt.
======== toll!

8. Verstehen statt Pauken
----> In meinem Tagebuch der ersten Tage dort schrieb ich, dass ich beeindruckt sei: Mir komme das Lernen so vor, als sei es eher "inwendig gelernt als auswendig gelernt". In Mathe wurde eben die eine Anwendung so oft geübt, dass wirklich so gut wie alle es verstehen mussten. Die Aufgaben waren sich ähnlich, sodass ich mich teils langweilte, aber ich verstand den Sinn dahinter (und hatte genug damit zu tun, die Sprache zu lernen ;) ): das Verstehen und Verinnerlichen.

9. Spielen als wichtiges Element jeden Lernens
----> Ohne "lek", d.h. Spiel, können sich die Schüler von meiner Schule das Lernen nicht vorstellen.. Jede Woche kam die Frage, ob wir nicht mal was spielen könnten, und wenn es nur eine Unterbrechung von fünf Minuten war oder so, es waren immer alle eifrig dabei, etwas zu spielen. Wobei es eher weniger Lernspiele als unterhaltsame Unterbrechungen waren. Auch der Sportunterricht war vom Spielen geprägt und hat mir mehr Spaß gemacht als daheim.

======= das gehirn braucht kurze pausen, um vorhergegangenes „setzen“ zu lassen, warum nicht spielen, gell?

10. Incidentales Lernen sollte unterstützt werden
------> Englisch können Schüler dort viel besser; sie sind ja durch das nicht-synchronisierte Fernsehen ständig davon umgeben; es läuft also ständig passives Hören ab, wenn man so will!
====== passiv ist es nur, wenn man gar NICHT HINSCHAUT und etwas anderes macht. wer aber bewußt schaut und untertitel liest, registriert die sprache zwar weitgehend noch unbewußt, aber nicht passiv, sondern sogar sehr aktiv!!

Außerdem können die, die nicht so gern hören bzw. mit sieben Jahren noch kein Englisch können, wahlweise am Fernseherbildschirm auch lesen üben (die norwegischen Untertitel) - ich find das goldrichtig so!

11. Lern-Lust statt Lern-Frust
-----> Mir wurde dort gesagt, Norwegen läge zwar bei PISA etc.recht weit hinten in der Leistung, aber ganz vorn bei der Untersuchung, wie GERN Schüler zur Schule gehen. Auch wenn Schüler dort nach der 10. noch nicht so viel ins Gehirn getrimmt bekommen haben wie hier bei mir am Gymnasium, ist die Lern-Lust nicht verloren gegangen und die Schüler haben eine Grundlage, auf die sie dann entsprechend ihrer Interessen aufbauen können.
====== d.h. schule bietet genau das, was man BRAUCHT. super!!

Kein Wunder also (das fällt mir jetzt ein, warum nicht eher? :D), dass mir Ihre Aussagen so zusagen: Ich habe Gehirn-Gerechtigkeit schon höchstpersönlich gespürt und erkenne in den Neuo-Mechanismen, Methoden und Appellen vieles wieder. Danke für Ihre Arbeit!! :)
Es ist sehr viel geworden, Frau Birkenbihl - aber es ist ein Beispiel aus der Praxis und es zeigt: Es geht! Und in anderen Ländern sogar ganz offiziell!
======== wie schön!!!!!

Bitte, liebe deutsche Lehrer, folgen Sie Hinweisen von Frau Birkenbihl, soweit Sie es irgendwie schaffen! Die Schüler werden's Ihnen danken :)
======= Ihr wort in Gottes ohr
vfb

Liebe Grüße

Juliane (Schülerin aus Sachsen-Anhalt)

28.10.07
Sehr geehrte Frau Birkenbihl! Angeregt durch den Beitrag von Juliane (5.10.), in dem sie beschreibt, welche tollen Methoden in Norwegens Schulen - mit Erfolg - angewendet werden, möchte ich - zur Ernüchterung - auf einen Beitrag im Fernsehen ( Sendung: "Frontal" vom vergangenen Donnerstag) aufmerksam machen. (Vielleicht haben Sie ihn auch gesehen.)
Dieser Beitrag hatte die verkürzte Schuldauer an Gymnasien, sprich: Abitur nach 12 Jahren, zum Thema. Es wurde erwähnt, dass wegen der Masse an Schulstoff inzwischen mehr Schüler unter Schulstress leiden als in vorherigen Jahren und dass Eltern inzwischen öfter einen Schulwechsel zur Realschule in Erwägung ziehen, um ihren Kindern das Leben wieder zu erleichtern.
======= hab ich gesehen, zeigte die PROBLEME dieser maßnahme gut auf. für ca. 1/3 der schülerInnen sicher eine gute möglichkeit, wir sprechen ja hier von zukünftigen akademikern, aber für 2/3 ist es einfach zu viel insbes. hirnrissigem bei frontalunterricht und üblichem pauken.
********* Zumal versucht wird, diesen Stoff des „verlorenen Jahres“  gerade im 5. Und 6. Schuljahr „durchzupauken“. Es ist tatsächlich so, dass in der 7. Klasse weniger Stunden unterrichtet werden, als in der 5. Und 6 und die Atmosphäre von den Eltern nun als  „entspannter“ beschrieben wird. Leider werden aber nach der 6. Klasse auch etliche Schüler von der Schule verwiesen, da sie den Anforderungen der sog. Erprobungsstufe nicht gewachsen waren. Wir Eltern sind daher in dieser Zeit sehr gefordert - ja, es wird geradezu für eine gelingende Schullaufbahn vorausgesetzt. (Da sind wir wieder beim Thema: Sozial-ökonomische Distanz)

Was mich aufhorchen ließ, war die Aussage einer Rektorin (?), die da meinte, sie würde zwar gerne alternative Lehrmethoden anwenden, doch der Zeitdruck würde sie zu einem Frontalunterricht zwingen!!!!!!!!!
=========== was soll man da noch sagen??????

Haben Lehrer wirklich noch nicht begriffen, dass es die Art zu Lehren ist, die für den Erfolg/Mißerfolg der Schüler verantwortlich ist?
======== maximal 1/3 der lehrkräfte sind bereit, das einzusehen.

Diese Aussage suggeriert dem Zuschauer doch,
********und das sind ja in den meisten Fällen Eltern.

dass alternative Methoden "Spielereien" sind, die in einem ernsthaften Unterricht, in dem man im Stoff weiterkommen will, nicht zu gebrauchen sind.
====== tja, nur so kann man sich weigern, ernsthaft über sie nachzudenken, bzw. sie einmal zu testen (erst an sich selbst)!

Es wird unseren Kindern unterstellt, dass sie nicht in der Lage sind, den Ernst dieser zu erkennen und produktiv auch ohne Unterweisung der Lehrperson arbeiten zu können.
===== komisch nur, daß teure privatschulen (z.b. in GB, aber auch bei uns) schülerInnen seit jahrzehnten zwingen, sich das WESEN-tlche selbst zu erarbeiten...

Das Schule dann auch noch Spass machen könnte, ist ebenso unverständlich. Stattdessen müssen heute - im Jahr 2007 - immer noch Schüler nachsitzen oder sie werden aus dem Unterricht entfernt, wenn sie sich nicht so verhalten, dass die Lehrperson sich wohlfühlt.
==== nachzulesen in TROTZDEM LEHREN!
***********Leider auch an der Schule meiner Kinder (Das hat aber nicht nur zur Folge, dass die betroffenen Kinder nicht in die Lage versetzt werden, eine  gute Beziehung zur Schule aufzubauen, schlimmer noch: Ich beobachte, dass gerade diese Kinder aufgrund dessen auch von ihren Mitschülern ausgegrenzt werden.)

Eine Schulmotivation läßt sich da schwerlich aufbauen und der Teufelskreis ist perfekt.
===== so isses.

Dabei sollte man, wie ich meine, diese verkürzte Schulzeit als Chance begreifen. Gerade die so oft geforderte Selbstlernkompetenz könnte doch jetzt "spielend" (im doppelten Sinne) erworben werden. Ebenso die von vielen Eltern in Vergessenheit geratene Selbstverantwortung. Doch einfach mal über den Tellerrand zu blicken (z.B. in andere Arbeitswelten, wo Produktivität mit Humanität immer mehr zusammengeht) und mal etwas zu verändern, scheint unseren Pädagogen (und leider auch den Eltern)
********die  auch Frontal gesehen haben

sehr bedrohlich.
====== pädagogen kennen das wirkliche leben ja nicht. sie gingen in die schule, in die uni und dann zurück in die schule. sonst kennen sie ja nichts. deshalb ist die idee, ergebnisse von woanders zur kenntnis zu nehmen, anathema!

Stattdessen flüchten sie sich mal wieder in alte Methoden und wer nicht mitkommt, der gehört eben einfach nicht auf das Gymnasium. Und das im Einverständnis mit den Eltern!
===== die kennen auch nichts anderes, abhilfe schaft mein hosentaschenbüchlein ELTERN-NACHHILFE (nach 3 monaten 6000 stck verkauft!)

Frage: Wie sieht es in Ihren Lehrer-Pilot-Gruppen aus?
===== jede/r lehrkraft kann mitmachen, wenn akutes interesse besteht. es gibt reale pilot-gruppen und die möglichkeit einer VIRTUELLEN MITGLIEDSCHAFT, bei der man virtuelles mitglied unserer GRUPPE 1 und alle DVD.s der vierteljährlichen vorträge erhält, mit den NEUESTEN infos, die zwischen 6 und 18 monaten vor ver-ÖFFENTLICH-ung bekannt gegeben werden, damit lehrkräfte genügend zeit haben, zu testen, etc. ehe ich es offiziell bekanntmache...

Geben Ihre Lehrer ihre Erfahrungen an ihre Kollegen weiter? Kann man in der Zukunft einen Flächenbrand erwarten?
======= herr dr. böhm arbeitet an einem buch, in dem einige der erfahrungen der lehrkräfte mit meinen methoden dokumentiert werden. wir freuen uns alle sehr darauf...

Gerne möchte ich ab nächstes Jahr ebenso in diesem Bereich aktiv werden und das mit Ihren für mich überzeugenden Methoden.
====== super.

Aber ich merke immer wieder (im Augenblick als Mutter dreier Schulkinder), dass man dafür ein dickes Fell braucht und vor allem Durchhaltevermögen.
===== tja, ich kämpfe auch erst seit 38 jahren gegen windmühlen... hätte ich nach nur 25 jahren aufgegeben, hätten wohl 60% derer, die jetzt mitmachen, nie etwas von mir erfahren...
vfb

In diesem Sinneeinen schönen Abend
Annegret Krüppel