Kein Problemkind mehr 12.1.07

Sehr geehrte Frau Birkenbihl! Da ich immer wieder gerne die Wandzeitung auch nach "Schulbeiträgen" durchstöbere, möchte ich für die anderen Leser einen Beitrag zum Nachdenken geben, der sich vom Negativen ins Positive verwandelt hat. Für Sie ist das bestimmt nix neues, aber für uns war das ein langer und schmerzvoller Lernprozess. Wir haben ebenfalls einen Sohn (jetzt 11 Jahr bald 12) der ab der Schule als Problemkind deklariert wurde.
======= das passiert leider immer noch viel zu häufig...

Wie der Sohn der Briefschreiberin vom 22.12. hat unser Kind einen sehr wachen Verstand, für viele Dinge ein äusserst rasches Auffassungs- und Merkvermögen, nur (wie wir jetzt - in erster Linie durch Sie - Jungen und Mädchen - und darauffolgender Beobachtung anderer "Problemkinder") eine sehr späte Entwicklung der Feinmotorik und zusätzlich der Hand Auge Koordination. Die Folge war, daß unser Sohn in Windeseile und begeistert Lesen gelernt hat, aber sich beim Schreibenlernen äusserst schwer getan hat. Die Lehrerin (1. Schule 1.Jahr) hatte dafür leider gar kein Verständnis und hat ihn zum "Üben" mit bis zu 9 (neun) Seiten Hausaufgabe versorgt.
======= wenn es sein muß, könnte dieses üben mit wachskreiden oder dicken filstiften auf a-3-papier passieren, oder in der luft (große bewegungen), wie wir inzwischen festgestellt haben...

leider wusste ich über die Thematik zu diesem Zeitpunkt auch nicht bescheid und dachte ebenfalls, was man nicht kann muss man halt üben. Das ging nicht mal ein halbes Jahr, bis unser Sohn sich eine Krankheit zugelegt hat, mit der er 4 Wochen von der Schule fernbleiben musste. Dann hatten wir angefangen umzudenken, denn in den ganzen sechs Jahren zuvor war unser Kind zusammengerechnet nicht mal 1 woche lang krank. Die erste von mehreren Konsultationen von Psychologen und anderen Fachleuten folgte, bei der sich die obengenannte Spätentwicklung aber auch als ganz herausragende Begabungen herausstellten.
======= großartig. wunderbar!

Wir wechselten die Schule, aber unser Sohn hatte bereits die Schreibverweigerung als Strategie gewählt und so war der weitere Dialog mit Lehrern eher schwierig. (Nebenbei habe ich mich über Montessori Methoden schlaugemacht und verschiedenes Material gebastelt das er mit Begeisterung frequentierte).
====== solche eltern braucht dieses land!

Nach einem weiteren halben Jahr hat man uns nahegelegt unser Kind in eine besondere Klasse der Sonderschule zu schicken. Dort, so versicherte man uns, würde sowohl auf die Schwächen als auch auf die Hochbegabung eingegangen werden, und nach dem normalen Volksschullehrplan unterrichtet (das war uns wichtig, da unser Sohn bereits flüssig las, und einen Wortschatz sein eigen nannte von dem sich so mancher Erwachsener ein Stück hätte abschneiden können, ganz abgesehen von anderen Wissensbereichen).
======= das spricht für Sie als familie, denn hier lernen kinder ihre sprache, sowohl kompetenz (grammatik) als auch wortschatz, nicht in der schule (nicht in 95% aller regelschulen jedenfalls). gratulieren Sie sich bitte!

Erst vor kurzem haben wir durch Zufall entdeckt, daß das eine ganz normale Sonderschulklasse war und der Lehrplan dementsprechend. Kurz gesagt auch hier wurde das ganze Augenmerk auf das Schreiben gerichtet, wiewohl ich damals schon der Meinung war man müsste ihn in diesem Punkt einfach in Ruhe lassen, dann würde das von alleine kommen. Um es kurz zu machen, nach sehr anstrengenden 2 Jahren (viele Krankmeldungen unseres Sohnes, wegen "unerklärlicher" Bauch- und sonstiger Schmerzen) und vielen auch "verordneten" Besuchen und Therapien bei Fachleuten (Psychologen, Ergotherapie, Kinesiologie...wir hatten alles schon gehört was ich auch immer wieder in der Wandzeitung lese wie Legasthenie, Teileistungsschwäche, ADHS bis Asperger Syndrom - heute bekomme ich Ausschlag wenn ich höre wie man die Kinder zu klassifizieren versucht nur weil sie nicht ganz ins Bild passen das man gerne hätte) die, wie ich das heute sehe unserem Sohn mit jedem Mal mehr signalisiert haben, daß mit ihm etwas nicht stimmt, war die Gesamtlage so aus dem Ruder, daß nur ein weiterer Schulwechsel in Frage kam und wir uns für eine reformpädagogische, teilweise Montessorischule entschieden. (Vorher war uns das finanziell einfach nicht möglich, sonst hätten wir das ohne nachzudenken früher getan). Die folgenden zwei Jahre dort, liefen zwar noch immer nicht einfach, aber immerhin weitgehend ohne Krankenstand. Nach fünf Jahren der Schul-Tortur die unseren Sohn an den Rand der Geisteskrankheit gebracht hat, unsere Eltern/Kind Beziehung und sogar unsere Ehe äusserst belastet haben, geht unser Sohn nun seit Herbst in eine reine Montessorischule. Und siehe da in wenigen Wochen hat er sich nicht nur integriert und bereits einen Freund gefunden, sondern auch Stück für Stück lösen sich die Probleme (auch auf der Beziehungsebene) von selbst auf.
========= das ist es ja, was ich immer sage: bei problemem liegt es zu 95% am system, nicht an den schülern!

Auf einmal haben wir einen fröhlichen Jungen, der jeden Tag scherzt, sich für das interessiert was in der Schule passiert und sogar zu schreiben anfängt.
======= wie schön. ich glaube, das dürfte manchen betroffenen hoffnung geben.

Wie einfach wäre das doch gegangen! Ich kann nur allen Eltern zurufen, sich schlau zu machen, sich für ihre Kinder einzusetzen notfalls auch gegen die Lehrermeinung (obwohl ich vorerst immer für Dialog bin, weil viele Lehrer selbst sehr unsicher sind) und Prädikate wie Legastheniker, ADHS, und ähnliches weit von sich zu weisen. Ich glaube wir warten vergeblich, wenn wir glauben, von "oben" passiert endlich was, die Revolution und Aufklärung kann meiner Meinung nach nur von der Basis kommen und das sind wir als Eltern denn die Kinder können sich ja leider nicht wehren.
======== von oben wird solange nichts passieren, wie nicht genügend ELTERN interesse daran haben, weil ELTERN bisher nicht teil der stimmvieh-menge sind, und solange sie als wähler uninteressant sind, wird nichts passieren. wenn aber genügend eltern aufwachen, dann müssen politiker sich endlich für deren belange interessieren und sei es auch nur, um wiedergewählt zu werden. deshalb habe ich gerade ein büchlein ELTERN-NACHHILFE geschriben und das thema für den 2. abend in karsfeld 2007 auserkoren (steht bald unter TERMINE), für alle, die weiter weg wohnen, bis ende april oder mai als DVD zu haben (wenn technisch alles klappt...).
vfb

m herzl. Gruss

r. wunderer